Das Leben schreibt die besten Geschichten. Zum Beispiel diese, als drei Freunde beschlossen, in Zukunft als Geschäftspartner die Architektur-Branche aufzumischen, und wie es ihnen gelang, den begehrtesten Design-Preis der Welt zu gewinnen.
„Wir hatten alle Tränen in den Augen“, erzählt Sophie Pfeffer vom Architektur- und Design-Büro „destilat“ gegenüber PANGAEA über ein Ereignis im Jahr 2020, als man in London plötzlich den Oscar für Innenarchitekten verliehen bekam. Diesen vergibt die Online-Plattform „Dezeen“ unter 4.000 Einreichungen weltweit.
MODERNE WEINMANUFAKTUR FÜR DEN WINZER CLEMENS STROBL
Das Siegerprojekt ist ein wahres Architekturjuwel in Kirchschlag am Wagram im Bezirk Tulln in Niederösterreich. Es ist ein alter Gutshof, der zu einer modernen Weinmanufaktur für den Winzer Clemens Strobl umgebaut wurde. Die Arbeit für das „destilat“-Team begann schon bei der Suche nach einer geeigneten Immobilie, bei der die Architekten den Auftraggeber begleiteten - und bei der Besichtigung eines 4.000 Quadratmeter großen Ensembles aus Betriebsstätte, Wohn- und Badehaus auch fündig wurden.
Allerdings: Die Bausubstanz war schlecht erhalten und musste von Grund auf saniert und durch Neubauten ergänzt werden. Das zweigeschossige Wohnhaus gibt sich nach außen in seiner historischen Anmutung – innen wurde das verwinkelte Gebäude jedoch völlig neu erschlossen. Die große Hauptstiege wurde dafür „umgedreht“ und ein Geländer in historischer Formensprache entwickelt.
Authentische Baumaterialien und Handwerkstechniken standen bei der Revitalisierung des Objekts im Fokus: Die antiken Fischgrät- und Tafelparkettböden wurden im Anwesen aus dem 18. und 19. Jahrhundert entdeckt und der Steinboden aus altem, getrommeltem Travertin zusammengesetzt; Wände und Decken in tradi¬tioneller Pinselstrich-Technik gemalt, Akkustikdecken unterm tonnenschweren Stuck der histo¬rischen Gemäuer versteckt und die originalen Kastenfenster restauriert und mit „Histoglas“ versehen.
Damit all diese Räumlichkeiten – vom Wellnessbereich im Kreuzgewölbe bis zum ausgebauten Dachboden – sich im besten Licht zeigen können, wurde von destilat zudem das komplette Beleuchtungssystem erarbeitet.
RENOMMIERTE PREISE IM IN- UND AUSLAND
Mit der Gestaltung der Weinmanufaktur Gut Wagram gewann „destilat“ nicht nur den Oscar unter den Innenarchitekten, sondern viele andere renommierte Preise der Branche. Auswirkung: „Wir sind dadurch bekannt geworden und werden zu Wettbewerben eingeladen“, freut sich Sophie Pfeffer. Sie ist seit 2019 Junior-Partnerin eines Männer-Triumvirats, das sich 2009 entschlossen hat, aus einer freundschaftlichen auch eine geschäftliche Beziehung zu machen.
Henning Weimer, einer der drei Geschäftspartner, war im Einzelhandel tätig und besaß ein Einrichtungshaus. Harald Hatschenberger beschäftigte sich zuvor mit Industrie-Design, und Thomas Neuber ist gelernter Betriebswirt und kam ursprünglich aus der Musikbranche. Heute sind die „destilat Design Studios“, die es in Wien und in Linz gibt, mit 15 Angestellten österreichweit und international auf den Gebieten der Innenarchitektur und des Möbeldesigns tätig. Wie man auf den Namen „destilat“ kam? „Wir betrachten als Essenz jedes Prozesses das Produkt - konzentriert, reduziert, destilliert“, beschreibt Henning Weimer die Namensfindung des Unternehmens.
Dass die Branche derzeit boome, habe auch mit der Pandemie zu tun, glaubt Weimer im Gespräch mit PANGAEA. „Corona war für uns ein Brandbeschleuniger, jeder wollte plötzlich sein Wohnumfeld verändern und hatte auch die Zeit und Muse, sich dazu etwas zu überlegen“. Dass die Kunden, die zu „destilat“ kommen, auch über das nötige Kleingeld verfügen müssen, will Weimer nicht bestätigen, er sagte nur: „Er sollte Sinn für das Schöne haben!“ Im Normalfall nennt der Kunde sein Budget für das Projekt, danach wird abgeschätzt, ob die Umsetzung seiner Wünsche realistisch ist. Das Weingut am Wagram in Niederösterreich bildete auch da eine Ausnahme.
WIE EINE YACHT ÜBER DEN DÄCHERN VON WIEN
Auf der Webseite von „destilat“ sind einige beeindruckende Interior-Projekte der Architektengruppe zu sehen. Bemerkenswert: Das „Penthouse L“ in Wien, wo sich ein spannendes Spiel aus luxuriösen Materialien und schlichten Formen als roter Faden durch die Wohnung zieht. Inhaltliche Anleihen nimmt das Design an Standort und Charakteristik der rund 165 Quadratmeter Wohn- und 380 Quadratmeter Terrassenfläche samt Outdoorsauna, Whirl- und Infinity-Pool. Als 9. und 10. Geschoss eines Neubaus segelt das Apartment samt dreiseitig umlaufender Terrasse wie eine Yacht über den Dächern von Wien und damit auch ein wenig „über den Dingen“.
Schwebend zeigen sich deshalb viele der maßgefertigten Holzeinbauten – von Ankleide- und Schlafzimmer mit En suite-Bad, bis zum Boudoir samt luxuriösem Schminktisch. Jede Menge Stauraum und so manch versteckte Tür wurden dabei aus lamelliertem Nussbaumholz unsichtbar in die Wand verbaut. Die erdigen Holzelemente bilden einen klaren Kontrast zu den Böden: glänzend helles und großformatiges Feinsteinzeug (mit Marmoroptik) in den Repräsentationsräumen und hochfloriger Velours in den Privaträumen. Materialien, die mit den hinterleuchteten Spiegeln subtil die 70er-Jahre zitieren.
Schiffsartig präsentiert sich auch die großzügige Wohnküche. Hinter weißen Hochglanzfronten wurde ihr Innenleben aus dunkler Nuss bis ins kleinste Detail ausgefertigt. Zentrales Element des Salons ist der Bioethanol-Kamin. Leicht erhöht, in einen hellen Marmorsockel eingelassen, wird er von einer großformatigen, dunklen Feinsteinzeug-Wand in Marmoroptik hinterfangen, die neben den Flammen auch die Materialästhetik der klassischen Moderne widerspiegelt. Der Sockel bildet zugleich die erste Stufe der Metalltreppe ins Obergeschoss, deren filigranes Strebengeländer eine tragende Rolle übernimmt und die Konstruktion schwerelos erscheinen lässt.
„Einmal mehr ging es bei diesem Projekt darum, aus den vielen Ideen der Auftraggeber ein stimmiges Ganzes zu destillieren; ihren Blick zu fokussieren und sie in der Urteilsfindung zu begleiten“, beschreibt Weimer dieses Herzeigeprojekt seiner Firma.
PASSENDER RAHMEN FÜR EXKLUSIVE AUTOMOBIL-SAMMLUNG
Außergewöhnlich ist auch die für einen Privatmann realisierte „Lounge Z“. „Destilat“ hat dabei für einen Liebhaber exklusiver Fahrzeuge, der sich für seine Automobil-Sammlung einen passenden architektonischen Rahmen wünschte, eine offene Lounge in die großzügige Garage integriert.
Dafür wurde im zweigeschossigen Baukörper ein eigener Bereich definiert der über eine dreistufige Treppe nach unten führt und damit räumlich von der Garage getrennt ist. Die Automobile werden gleichzeitig erhöht und erhalten durch die Präsentation der Sammlung auf einem Podest musealen Charakter.
Die beiden fix eingebauten Hauptelemente, welche einerseits als Bewirtungs- und Bar-Modul und andererseits als räumliches Trennelement bzw. Regal dienen, kombinieren Korpusse aus Teakholz mit grünen Marmorplatten, die formal und konstruktiv durch einen Rahmen aus schwarzen Formrohren zusammengefasst werden. Mit seinen vertikalen Teakholz-Lamellen definiert das Regal subtile Raumgrenzen, ermöglicht ob seiner Transparenz dennoch Blickbeziehungen aus der tiefer liegenden Lounge in den eigentlichen Garagenbereich und vice versa.
Für Weimer von „destilat“ wurde mit diesem Projekt ein relaxter Ort in stilvollem Ambiente geschaffen, der freien Blick auf die kostbaren Sammlerstücke offeriert und zum entspannten Fachsimpeln unter Gleichgesinnten einlädt.
PRIVAT-RESIDENZEN IN SPANIEN UND GRIECHENLAND
Zu den Kunden von „destilat“ zählen sowohl private Auftraggeber als auch Hotels. „Wir beschäftigen uns aber auch intensiv mit Corporate Architecture und der Integration von Marken und Produkten in die jeweilige Architektur. Gleichzeitig unterstützen wir unsere Kunden bei der gemeinsamen Entwicklung von Serienprodukten im Möbelbereich“, ergänzte Henning Weimer, der mit seinem Team gerade damit beschäftigt ist, in Spanien und Griechenland Privat-Residenzen zu gestalten.
Comments